Wenn Christen kritisch über Vorkommnisse im Königreich GOTTES berichten, werden sie oft als
„Verkläger der Brüder“
bezeichnet. Ist dieser Vorwurf berechtigt oder entbehrt er jeder biblischen Grundlage? Mit diesem Aufsatz soll der Versuch unternommen werden, diese Frage aus biblischer Sicht zu beantworten.
Das griechische Wort KATEGOREO, das dem Begriff „Verkläger“ zugrunde liegt, stammt aus der juristischen Terminologie. In der israelitischen Rechtspraxis erhält das Wort eine spezielle Bedeutung: Es bezeichnet den Ankläger (in unserem Rechtssystem übernimmt der Staatsanwalt diese Rolle), der die Vergehen des Beschuldigten aufzählt. In nachexilischer Zeit kennt man auch einen Ankläger beim himmlischen Gericht, der vor Gottes Thron die Sünden der Menschen vorbringt. Im Buch Hiob (1,6; 2,1) wird er zu den „Gottessöhnen“, d.h. zum himmlischen Hofstaat, gezählt.
Der Fachterminus wird benutzt, wenn jemand vor Gericht (d. h. am Marktplatz bzw. vor dem Richterstuhl) beschuldigt (angeklagt bzw. verklagt) wird (z. B. Matthäus 12,10; Lukas 23,14; Apostelgeschichte 28,19 u.a.).
In der LXX bezeichnet es jemanden, der seine eigene Klage vorbringt, der in eigener Sache anklagt (Sprüche 18,17).
Zwei biblische Beispiele bestätigen das bisher Geschriebene:
Der Teufel klagt nach Sacharja 3,1f. den Hohepriester Josua vor JaHWeH an, um die Wiedererrichtung des Tempels und der Gemeinde in Jerusalem zu vereiteln. Er wird von JaHWeH als Gegenspieler zugelassen, der einen Menschen prüfen darf.
Das zweite Beispiel steht in Johannes 8,10 f. Dieser Abschnitt handelt von der Ehebrecherin, die von den Pharisäern angeklagt wurde. Die Bibel bezeugt folgenden Dialog zwischen dem HERRN JESUS und der Frau: Und Jesus sprach zu ihr: „Weib, wo sind sie, deine Verkläger? Hat dich niemand verdammt?“ Sie aber sprach: „Herr, niemand.“ Und Jesus sprach zu ihr: „So verurteile ich dich auch nicht, gehe hin und sündige hinfort nicht mehr“
Satan (hebr. haśśāṭān, aram. sātānā‘, gräzisiert satanâs, gr. diábolos) bedeutet u.a. „Verkläger“
Die Bezeichnung „Verkläger“ ist in dem Namen „Satan“ vorhanden.
Satan bedeutet im Hebr. zunächst den Feind (1Könige 5,18 LÜ: Widersacher), speziell den Gegner vor Gericht, der Anklage erhebt (Psalm109,6; Sacharja 3,1f), sodann jeden, der einem anderen Schwierigkeiten, Nachstellungen, Verfolgungen, Anfeindungen bereitet, ihn von einer guten Tat abhalten will (2. Samuel 19,23).
Im AT ist Satan also der Widersacher, meist Appellativ mit Bedeutung aus der Rechtssphäre. Er ist insbesondere der „Widersacher“ und ist besonders der Kläger vor Gericht, der, rechts vom Angeklagten stehend, die Vergehen aufzählt (Ps 109,6). Ebenso tritt er als ein Ankläger vor GOTT auf (Hiob 1,6-12; 2,1-7; Sacharja 3,1f.). Bei Hiob erhält er die Vollmacht zum Beweis seiner Anklage.
Das israelische Gerichtsverfahren
Verhandlungen, die als Gerichtsverfahren gelten können, hat es im ganzen Alten Orient und für Israel und seine Umwelt auch schon in vorgeschichtlicher Zeit gegeben. So deutet der Ortsname Meriba (morībā = Rechtsstreit) zu Kadesch darauf hin, dass dort Wanderhirten unterschiedlicher Sippenverbände ihre Streitigkeiten austrugen, und zwar vor einer urteilenden Instanz, von der aber unbekannt ist, wer sie repräsentierte (ein einzelner? die anwesenden Rechtsfähigen? beide?). Innerhalb der Sippenverbände aufkommenden Rechtsstreit entschieden die mit richterlicher Gewalt ausgestatteten Ältesten in öffentlichem Gerichtsverfahren, wobei rechtsfähige Sippenglieder Sitzrecht hatten. Die nach der Landnahme sesshaft gewordenen Sippenverbände bildeten das Gericht analog der überkommenen Weise und übten das Gerichtsverfahren im Tor aus. In Ausnahmefällen suchten einzelne über das Ortsgericht hinaus ihr Recht beim „Richter Israels“, später beim König, dessen Amt das des Richters umgriff (Königlicher Richter in 2 Ch 19,5-7).
Das israelische Gerichtsverfahren wurde eröffnet durch mündlichen Antrag (Ruth 4,4) oder Klage (1 Könige 3,16 ff.) seitens der urteilbegehrenden Partei bzw. der Zeugen eines Verbrechens (1 Könige 21,10), deren es für den Schuldspruch bei mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen mindestens zwei bedurfte (5. Mose 17,6). Durch den Prozess ließ man zu Beginn des Gerichtsverfahrens die Anerkennung des ergehenden Urteils beschwören .
Als Beweismittel galten bei privatrechtlichen Anspruchsregelungen Urkunden und Zeugenaussagen, bei Strafsachen Geständnis, Überführung , Zeugenaussagen und, sofern im unklaren Einzelfall richterlich verfügt, das Gottesurteil (5. Mose 17,8 ff.) und der Reinigungseid (2. Mose 22,10), letztere evtl. zugunsten des Beklagten. Die Beweislast trug bei jedem Rechtsstreit und Strafprozess die das Gerichtsverfahren eröffnende Partei, die bisweilen der Satan unterstützte, während dem Beklagten der Fürsprecher half.
Bedeutend für die Urteilsfindung war auch das richterliche Verhör der Prozessbeteiligten. Waren Beweisaufnahme und Vernehmung beendet, erging das Urteil über Recht und Unrecht bzw. Schuld und Unschuld mit Urteilsbegründung und Feststellung der Rechtsverhältnisse bzw. Festsetzung von Schadenersatz oder Strafen.
Fazit
Der Teufel wird also „Verkläger“ genannt (vgl. Hiob 1,6ff.; 2,1ff.; Sach. 3,1ff.; 1. Chr. 21,1), der in der Versammlung des himmlischen Hofstaates die Brüder vor GOTT bei Tag und Nacht anzuklagen versuchte. Das bedeutet, dass Satan der Anlläger vor Gericht ist. Seine Anklage ist abgewiesen (vgl. Röm. 8,33). Die Schar der Vollendeten, die Gott im Himmel lobt, weiß sich mit den in Kampf und Anfechtung stehenden Christen brüderlich verbunden.
Die abgründige Verlogenheit Satans manifestiert sich in der Art, wie er mit der Sünde des verführten Menschen umgeht. Die Sünde wird unversehens zur Anklage gegen den Menschen vor GOTT. Satan ist der Verkläger des Gottesvolkes. Schuld vor Gott und Menschen wird zum Rechtstitel, den Satan einklagt und dadurch die Verfügung über den Menschen beansprucht. Deutlich wird dieser Vorgang an der Volkszählung Davids (1Chronik 21,27). Ebenso zeigt sich Satan im Hiobprolog als Ankläger gegen die besten und elementarsten Interessen des Menschen (Hiob 1,1-6; 2,1-7). Diese Darstellung Satan s als Ankläger gegen das Volk Gottes bzw. die Gemeinde des Christus wird in der Heiligen Schrift bis zur Johannesoffenbarung durchgezogen (Offb 12,10).
Das Resultat zeigt, dass der Vorwurf („Verkläger der Brüder“) unberechtigt ist, wenn nicht das Amt eines gerichtlichen Verklägers ausgeübt wird. Daher möchte ich gerade die Geschwister ermutigen, die dem Leib CHRISTI mit ihrer Aufklärung dienen und sich mit diesem Vorwurf konfrontiert sehen.
Literatur
Wegbereiter der Reformation: 7. Die Hussitische Reformbewegung. Klassiker des Protestantismus, S. 749; Handwörterbuch: Gerichtsverfahren. Biblisch-historisches Handwörterbuch, S. 2164 (vgl. BHH Bd. 1, S. 551)
Handwörterbuch: Satan. Biblisch-historisches Handwörterbuch, S. 6023 (vgl. BHH Bd. 3, S. 1674)
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