Der amerikanische Philologe Prof. Mantey stellte fest, dass Matthäus 16, 19 und 18, 18 in der lateinischen Vulgata durch Hieronymus (400 n. Chr.) falsch übersetzt wurde. Er schreibt über diesen bedauerlichen Fehler:
Ohne Zweifel sind Millionen von Menschen irregeleitet worden, indem sie glaubten, dass GOTT ihre Sünden vergibt, sobald irgendwelche religiöse Führer ihnen die Sündenvergebung zugesprochen haben, obwohl sie die Bedingungen Gottes dazu (zur Vergebung ihrer Sünden) nicht erfüllten
Die Folge: Wenn die herkömmliche Übersetzung der betreffenden Schriftstellen wahr sein soll, hätten die Christen auf Erden Autorität über den Himmel!
Ist jedoch nicht das Gegenteil der Fall? Müssen sich nicht Menschen ganz unter den Willen GOTTES stellen? Zeugt nicht das NT darüber, dass der Himmel die Autorität für uns ist und dass GOTT Seiner Gemeinde die Richtlinien gibt?
GOTT ist souverän und gibt niemals einem Menschen das Recht, Heil zu spenden oder zu jemanden zu verdammen.
Lange Zeit gab es in der Christenheit Missverständnisse darüber, was die Worte JESU über Binden und Lösen in Matth. 16, 19 oder 18, 18 betrifft. Das Partizip (Mittelwort) wurde bei diesen Stellen traditionsgemäß so ausgelegt, als ob es im einfachen Futur (Zukunftsform) stünde
…wird gebunden, …wird gelöst werden….
Es handelt sich in diesen Fällen jedoch nicht um die einfache Zukunft, sondern um das Mittelwort (Partizip) des Futur Perfekt im Passiv (STAI DEDEMNON)!
Demnach lautet die Übersetzung von Matth. 16, 19:
[stextbox id=“alert“ caption=“Matthäus 16, 19″ shadow=“true“ ccolor=“ffff00″ bgcolor=“ffffff“ cbgcolor=“9A007B“ bgcolorto=“ffffcc“ cbgcolorto=“6C0057″]Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben, und was du auf Erden binden wirst, hat im Himmel gebunden worden zu sein und was du auf Erden Lösen wirst, hat im Himmel gelöst worden zu sein[/stextbox]
Ähnlich ist die Stelle in Matth. 18,18, die jedoch von der Gemeindezucht handelt:
[stextbox id=“alert“ caption=“Matthäus 18, 18″ shadow=“true“ ccolor=“ffff00″ bgcolor=“ffffff“ cbgcolor=“9A007B“ bgcolorto=“ffffcc“ cbgcolorto=“6C0057″]Wahrlich, Ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, das wird im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, das wird im Himmel gelöst sein.[/stextbox]
“Binden und Lösen” werden bildlich gebraucht und bedeuten in Matth. 16, 19 „verbieten“ bzw. „erlauben“, und in Matth. 18,18 “Gemeindeausschluss oder -aufnahme”.
Jede diesbezügliche Verkündigung muss dahin gehen, dass allein der HERR die Autorität, die Vollmacht dazu hat.
Die zwei betreffenden Stellen sind in althergebrachter Weise übersetzt – für die Verfechter des Priestertums starke Belege. Diese falsche Übersetzung führt in vielen Fällen zu einem Sacerdotialismus (Machtmissbrauch).
Welche Konsequenzen ergeben sich unter Berücksichtigung der griechischen Zeitform, in der diese Verse geschrieben sind? (sog. periphrastisches Partizip des Perfekt-Futurs; vgl. Griners Grammatik des ntl. Griechisch)
Die mit “…werden gebunden, werden gelöst sein” wiedergegebenen Stellen sind nicht in der einfachen Zukunftsform zu verstehen, sondern als Zukunft-Perfekt (periphrastisches Futurum perfekt passiv).
Sie sollten auch so übersetzt werden, wobei die ganze Bedeutung dieser Zeitform erkannt werden muss. Beide Stellen sind in der gleichen Zeitform geschrieben, nur mit dem Unterschied, dass Matth. 16 im Singular (Einzahl) steht, weil Petrus gemeint ist, und Matth. 18 im Plural (Mehrzahl), weil an die Gruppe der Jünger gerichtet.
Es ist gefährlich, das Partizip hier so wiederzugeben, als ob es sich um die einfache Zukunftsform handelte. Wenn der Schreiber seine Gedanken in dieser einfachen Zeitform ausdrücken wollte, hätte er es doch tun können.
Das Perfekt drückt den Gedanken einer vollendeten, abgeschlossenen Handlung mit bleibenden Resultaten aus, und die Zeit der Vollendung liegt immer vor der Zeit des Schreibers.
Merke: Das Perfekt-Futurum drückt das aus, was in der Vergangenheit begann und über Gegenwart bis in die Zukunft reicht.
Die Verse von Matth. 18,18 sind also so zu verstehen, dass die christliche Gemeinde in der Lösung ihrer Gemeindeprobleme nur zu den Entscheidungen kommen darf, die von GOTT bereits vorher getroffen sind. Dies ist die Bedeutung des Futurum-Perfekts.
Wir sind nicht autorisiert, diese Verse so wiederzugeben, als ob es einfaches Futur wäre (wie allgemein üblich). Warum hat in diesem Fall der Autor nicht diese einfache Zukunftsform gewählt (“wird gebunden sein”)? GOTT müsste nur ratifizieren, was Menschen beschließen. Dabei aber wollen diese Verse ein willkürliches Handeln ausschließen.
Prof. Chamberlain schreibt:
das wird gebunden sein und wird gelöst sein, könnte dazu führen, zu glauben, dass man sich im Himmel nach den Entscheidungen der Apostel richtet. Das sollte korrekterweise folgendermaßen übersetzt werden: wird im Himmel vorher schon gebunden worden zu sein haben oder wird im Himmel gelöst worden sein.
Dr. Wuest übersetzt:
Was ihr auf Erden bindet, muss im Himmel schon zuvor gebunden worden sein… Was ihr auf Erden bindet, kann nur das sein, was im Himmel zuvor gebunden wurde… usw.
Im Blick auf Lehrfragen zeigt uns dies Apg. 15 ganz deutlich. Erst als klar war, dass das Resultat der Schrift entsprach und dem HEILIGEN GEIST gefiel, wurde die Entscheidung getroffen. Dr. Dayton bestätigt die These Manteys:
Das Perfekt zeigt die vergangene Handlung an, deren Resultate dem Sprecher oder Schreiber schon als gegenwärtig anderswo entschieden waren
(Vgl. neuere englische Übersetzungen des NT, etwa Williams u. a.).
Das Perfekt in Joh. 20, 23 wem ihr die Sünden vergebt (APHETE; APHONTAI = perfekt passiv), wem ihr sie behaltet (KRATETE),: KEKRKENTAI “kekrkentai” !
In Joh. 20, 23 sind die Verben APHONTAI und KEKRKENTAI (von APHIEMI „[los-/er]-lassen“ und KRATEO [„fest-]halten“) meist im Sinne der Gegenwart wiedergegeben: sind sie erlassen, …sind sie behalten
Es handelt sich hier jedoch ebenfalls um die Vergangenheitsform, und eine korrekte Übersetzung würde die Bedeutung dieser Zeitform wiedergeben:
[stextbox id=“alert“ caption=“Johannes 20, 23″ shadow=“true“ ccolor=“ffff00″ bgcolor=“ffffff“ cbgcolor=“9A007B“ bgcolorto=“ffffcc“ cbgcolorto=“6C0057″]Wem ihr die Sünden vergebt, denen müssen sie vorher vergeben worden sein; wem ihr sie behaltet, denen müssen sie behalten worden sein![/stextbox]
Fazit
Wir können nur dem die Vergebung zusprechen, dem die Sünden vorher von GOTT vergeben wurden! Davon müssen wir uns vorher überzeugen. Dem Menschen, dem GOTT vergeben hat, dürfen wir diese Tatsache in Vollmacht zusprechen.
Exkurs: Das magische Verständnis von „Binden und Lösen“
In römisch-katholischen und vielen charismatischen resp. pfingstlichen Gruppierungen gibt es eine Irrlehre, die auf eine magische Bedeutung von „Binden und Lösen“ beruht. Diese Irrlehre geht auf eine durch das gesamte Altertum gehende Vorstellung zurück, dass ein Mensch durch dämonische Einflüsse gebunden oder gefesselt werden kann. In griechischen, syrischen, hebräischen, mandäischen und indischen Zaubersprüchen finden wir diese Überlegung; es gibt „massenhafte antike Inschriften, welche die Bindung eines Menschen zum Inhalt haben“ (Deissmann, S. 258). Weiterhin finden sich Parallelen in ägyptischer, babylonischer und vereinzelt in rabbinischer Literatur (meist Zauberformeln bei Exorzismus, vgl. die jüdischen Exorzisten in Matth. 12, 27; Apg. 19, 13); Die Bibel dagegen (Matth. 12, 28 ; Lk. 13, 16) spricht von der Macht Satans zu binden und der größeren Macht JESU zu lösen.
In Apg. 19 lesen wir davon, dass viele Neubekehrte in der griechischen Stadt Ephesus ihre okkulten Bücher verbrannten. Einen Einblick in den Inhalt solcher Bücher haben wir durch einen erhaltenen Codex (geschrieben um 300 n. Chr., aber sein Inhalt ist sicher viel älter), dem sog. „großen Zauberpapyrus“, der sich u. a. mit der „Befreiung“ von Menschen aus dämonischer Bindung beschäftigt:
…braue einen magischen Trank,…sprich die nötigen geheimen Formeln und Götternamen aus,…gebiete: (‚fahre aus’!),… schreib die Schutzformel auf eine Zinntafel, häng sie dem Leidenden um,… dann beschwöre…
(es folgen viele Beschwörungen unter Nennung mächtiger helfender Schutzgottheiten, auch Jesus wird genannt als „Gott der Hebräer“ [Deissmann, S. 217]). Ganz ähnlich handelten jüdische Beschwörer in Apg. 19, 13 (hier wie dort eingeleitet mit: HORKIZO SE „ich beschwöre dich“). Auch sie wollten Göttliches mit ihrer heidnischen Praxis vermischen.
Der Christ Justin (dial. 85, 306) spricht um die Mitte des 2. Jh. n. Chr. diesbezüglich verächtlich von „Zauberkunst“.
Es gab auch Richtlinien zum Binden eines Menschen. Eine griechische Bleitafel aus Attika (3. Jh. v. Chr.) enthält unser Stichwort deo. In diesen Belegen wird Binden und Lösen nahezu im Sinne von „mit dem Bann belegen, um einen Menschen schutzlos der Gewalt einer Gottheit auszuliefern“ benutzt.
Über 1000 Tafeln mit „Bindezauberformeln“ aus der gesamten antiken griechisch-römischen Welt sind bis heute entdeckt. Platon erwähnt Wanderzauberer, die um Geld banden (rep. 364c); der griechische Tragödiendichter Aischylos beschreibt in seinen Eumeniden (458 v Chr.) einen „Bindegesang“, der die Redegewandtheit behindern soll. Sehr verbreitet war das Binden der Zunge des Prozessgegners, bzw. dessen Anwaltes, wie es der Komödienautor Aristophanes beschrieb (Vesp. 946-48).
Das „Daumendrücken“ galt als Bindehandlung (Horaz, ep. 1, 18, 66; vgl. Augustin, doctr. christ. 2, 29, 45). All dies hat mit biblischem „Binden“ überhaupt nichts zu tun, es ist antiker Voodoozauber, wie man bei dem römischen Dichter Ovid (gest. 18 n. Chr.) gut erkennen kann: Er beschreibt das finstere Werk einer Frau (am. 3, 7, 29), die den Namen eines Opfers zuerst auf Wachs schreibt und dann durchbohrt, um ihm zu schaden.
Was sagt nun die Bibel zu diesem Thema? Beim Herrn JESUS war es i. d. R. nur kurzer Befehl (z. B. Mk. 1, 25: verstumme oder fahre aus!) Es bedurfte keiner ausführlichen Anweisung für „rechtes Binden“, ebensowenig magischer Zeremonien.
Gerade die Einfachheit im Namen JESU (einfaches kurzes Gebet) heben die christlichen Apologeten gegenüber den langen Beschwörungen mit magischen Ritualen hervor (z. B. Tertullian, pat. 3, 2 („allein mit Worten..“) oder Augustin.
Die Apologeten lehnten die magischen Bindezauber ab (vgl. Euseb, praep. ev. 5, 8/9!), dafür setzten sie das Gebet. (Cyrill v. Jerusalem, cat. 16, 16).
Dass alle Christen die Vollmacht haben, Dämonen auszutreiben, galt in den ersten vier Jahrhunderten allgemein als Selbstverständlichkeit, vgl. z. B.:
Justin, a) Apologie 2, 6, 6 (= Verteidigungsschrift für das Christentum, kurz nach 150 n. Chr.):
das könnt ihr auch jetzt noch aus den Ereignissen vor euren Augen erfahren. Denn viele der unsrigen, der Christen, beschwören viele dämonisch Besessene in der ganzen Welt und in eurer Stadt (=Rom) bei dem Namen Jesu Christi des unter Pontius Pilatus Gekreuzigten und haben so die Menschen geheilt und heilen sie jetzt noch, welche von allen übrigen Beschwörern nicht geheilt wurden. So vernichten und verfolgen die Christen die Dämonen, welche die Menschen festhalten
b) Dialog mit dem Juden Trypho, 85, 76:
denn bei dem Namen dieses Sohnes Gottes…wird jeder Dämon besiegt und unterworfen
Tertullian, apologeticum 23 (Verteidigungsschrift für den Glauben, um 197): (4)
bringt hier vor euer Tribunal irgend einen Menschen, von dem ihr wisst, dass er von einem Dämon getrieben wird: auf den Befehl eines beliebigen Christen wird jener Geist ebenso wahrheitsgemäß zugeben, dass er ein Dämon ist wie er sich an anderswo fälschlicherweise als Gott ausgibt. (15) All diese unsere Herrschaft und Gewalt über sie kommt von der Nennung des Namens Christi und dessen, was sie von Gott her durch den Richter Christus drohend erwartet (nämlich Strafe und Gericht!). Selbst aus den Körpern weichen sie auf unseren Befehl ohne zu wollen und betrübt und – in eurer Gegenwart – auch beschämt.
Minucius Felix, Octavius 27, 4ff.:
die Dämonen selbst legen über sich ein Geständnis ab, sooft sie von uns durch verbale Folter und brennende Gebete aus den Körpern vertrieben werden…vom Schmerz besiegt sagen sie, was sie sind (nämlich keine Götter!)…denn beschworen beim wahren und einzigen Gott erschaudern diese Elenden ohne zu wollen in den Körpern und entspringen entweder sofort oder weichen nach und nach, je nachdem der Glaube des Leidenden mitwirkt oder die Gnade des Heilenden sich auswirkt. So fliehen sie vor den Christen aus der Nähe, die sie durch euch aus der Ferne plagten. In den Gedanken der Unkundigen (=Nichtchristen) säen sie Hass auf uns, der durch Furcht entsteht
Zusammenfassung
Den volkstümlichen Sinn der Formel „Binden und Lösen“ als magische Handlung hat nicht die Bibel, auch nicht spätere christliche, sondern gnostische Schriften überliefert. Aus dem 6. Jh. n. Chr. ist beispielsweise eine Inschrift der gnostischen Sekte der Mandäer (manda = „Gnosis, Erkenntnis“) erhalten, in der geistliche Mächte gebunden werden sollen.
„Binden und Lösen“ wurde zu biblischen Zeiten verstanden als:
- Gemeindezucht mit Vergebung oder Belassung der Sünden bzw. Neuaufnahme in die Gemeinde nach Sündenbekenntnis und Vergebung im Namen Jesu oder auch Nichtaufnahme.
- Durch autoritative Lehrentscheidung etwas als biblische oder als Irrlehre beurteilen.
Literatur
Biblia Patristica, ed. J. Allenbach, A. Benoit, D. A. Bertrand u. a., Paris 1975ff.
Reallexikon für Antike und Christentum, hrsg. v. Th. Klauser (1941ff.)
Strack, H. L; Billerbeck, P, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch (Beck, München 1926ff.)
Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, begr.. v. G. Kittel, hrsg. v. G. Friedrich (1933ff.)
Corpus Scriptorum ecclesiasticorum latinorum (Wien 1866ff)
Schriften des Urchristentums, Erster Teil, ed. J. A. Fischer, Darmstadt 91986; zweiter Teil, ed. K. Wengst, Darmstadt 1984
Adam, K. “Zum außerkanonischen und kanonischen Sprachgebrauch von Binden und LösenA, in: Theolog. Quartalsschrift 96 (Tübingen 1914).
Deissmann, A. Licht vom Osten (Tübingen 41923), S. 258.
Ludwig, J. Die Primatworte Mt. 16, 18.19 in der altkirchlichen Exegese (Münster 1952; Neutest. Abhandl. 19, 4).
Obrist, F. Neutestamentliche Abhandlungen 21 (Münster 1961).
Arbeitsmaterial zum geistlichen Dienst (BUW)
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