Helge Stadelmann ist als Rektor der Freien Theologischen Hochschule Gießen eine weithin bekannte Persönlichkeit im deutschen Evangelikalismus; für viele gilt der angesehene Autor mehrerer theologischer Bücher als ein bibeltreuer Christ. Manche Beobachter haben allerdings schon vor Jahren wahrgenommen, daß dieser evangelikale Theologe sich immer mehr auf bedenkliche Kompromisse einließ und unbiblische Irrwege einschlug. So muß seine mehrfache öffentliche Empfehlung für die verführerische „Willow Creek“-Bewegung beurteilt werden, und genauso die Politik der Zugeständnisse, die er als Leiter der damaligen FTA Gießen machte, um die Anerkennung der weltlichen Obrigkeit als Hochschule zu erlangen.
Nun hat Stadelmann in Idea Spektrum das neue Buch des römischen Papstes Ratzinger alias Benedikt XVI. (Jesus von Nazareth. Prolog: Die Kindheitsgeschichten) besprochen und uneingeschränkt empfohlen. Stadelmann benutzt den Umstand, daß Ratzinger die Berichte der Bibel über Jesus Christus als geschichtliche Wahrheit behandelt, um in der innertheologischen Auseinandersetzung gegen die bibelkritisch verseuchte protestantische Theologie damit zu punkten. Über die zuvor erschienenen Bände sagt er:
Dass der prominenteste Theologe der Gegenwart mit wohl begründetem Zutrauen in die Zuverlässigkeit der Evangelien ein solch durch und durch biblisches Jesusbild zeichnen würde, war für die Jesus-Skeptiker in der Theologenzunft eine Herausforderung.
Nun sollte es nicht überraschen, dass Ratzinger als römischer Theologe in seinen „Jesus-Büchern“ von der Zuverlässigkeit der biblischen Berichte ausgegangen ist. Man hat den Eindruck, daß seine Bücher nicht zuletzt auch mit dem Ziel geschrieben wurden, den Evangelikalen die römische Kirche schmackhaft zu machen und ihnen eine trügerische Annäherung der Standpunkte zu signalisieren. Dennoch ist sich natürlich auch der jetzige Papst völlig der offiziellen Linie der katholischen Kirche in bezug auf die Bibelfrage bewußt, in der die „wissenschaftliche“ historisch-kritische Methode seit dem II. Vatikanischen Konzil durchaus ihren Platz bekommen hat. Der römische Standpunkt in der Schriftfrage ist keinesfalls deckungsgleich mit einer wirklich bibeltreuen Haltung (im Sinne etwa der Chicagoer Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel).
Es nutzt nichts, wenn die römische Kirche sich in Worten zur Zuverlässigkeit der Bibel bekennt, aber dennoch ihre Irrlehren aufrechterhält (das tun etwa die Zeugen Jehovas genauso). Es nutzt nichts, wenn sie sich zur geschichtlichen Wahrheit der Evangelienberichte bekennen und dann in ihrem verfälschten Evangelium dennoch einen anderen Jesus (2Kor 11,4) verkünden. Von daher ist die unkritische Empfehlung Stadelmanns ein weiterer Versuch, die Evangelikalen in Richtung auf die Einvernahme durch Rom zu beeinflussen und ihnen Sand in die Augen zu streuen.
Daran ändert auch der verharmlosende Nebensatz nichts, den Stadelmann gegen Schluß einbaut:
Evangelische Christen würden sicherlich manches mit Benedikt diskutieren wollen, was andere Aspekte des Evangeliums und der kirchlichen Lehre betrifft,
schreibt Stadelmann und fährt dann fort:
Doch hinsichtlich des Zentrums des Glaubens – Jesus – hat der Wegweisendes erarbeitet.
Was gibt es für evangelische Gläubige mit dem römischen Papst zu „diskutieren“? Ein anderes Evangelium, die Rettung durch den falschen „eucharistischen Jesus“, durch Sakramente und die falsche Priesterschaft der römischen Kirche sind tödliche Irrlehren, von denen wir uns entschieden abwenden müssen, anstatt „diskutieren“, sprich: einen Dialog führen zu wollen.
Doch Stadelmann ist offensichtlich längst auf den verkehrten ökumenischen Dialogweg der Allianz eingeschwenkt. Seine Buchbesprechung mag ihm und der FTH zusätzliches evangelikales Wohlwollen einbringen und ein Signal sein, daß man sich aus allen früheren „fundamentalistischen Engführungen“ entschlossen befreit hat – geistlich gesehen bedeutet sie eine traurige Irreführung der Gläubigen.
Quelle: Idea Spektrum 47 / 2012, S. 14.
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