Immer wieder hört man aus wenig berufenem Munde der Anhänger der Allversöhnungslehre, dass die Ewigkeit teilbar wäre, weil das griechische Wort Äon heißt und angeblich nur eine bestimmte Zeitspanne umfasst. In Wahrheit jedoch lautet die Grundbedeutung für ÄON Lebenskraft oder Lebensdauer. Es war Platon, der den Terminus ÄON gebrauchte, um damit eine Zeitdauer anzudeuten, die jede Aufeinanderfolge von Tagen und Jahren ausschließt (Ewigkeit im philosophischen Sinne).
Dieser Begriff kommt in der jüdischen Literatur nicht vor. Hier ist ÄON genau wie OLAM WA-ED die unübersehbare Zeitdauer, mit der ein Geschlecht dem anderen folgt (Pred. 1,4). In der älteren jüdischen Eschatologie gab es zwischen der von keinem Übel anfechtbaren messianischen Zukunft und dem schmerzhaften Heute keinen Bruch; es waren zwei Phasen derselben Weltdauer. Diese Kontinuität wurde in der apokalyptischen Literatur angelehnt; die heutige Zeit ist der „Äon der Ungerechtigkeit“ (Hen. 48,7), „befleckt von Sünden”, der einem neuen Äon der Heiligkeit und Glückseligkeit in dem die Gerechten belohnt werden sollen, weichen muss. Man findet in dieser Literatur die Ausdrücke „dieser Äon“, PRAESENS SAECULUM und der künftige Äon, FUTURUM VENTURUM SAECULUM als zwei radikal entgegengesetzte Größen; in der rabbinischen Literatur bekannt als HA-OLAM HA-SEH (diese Welt im Sinne dieses Äons) und HA-OLAM HA-BA (die künftige Welt im Sinne jenes kommenden Äons). Bereits Tobias 14,56 legt diese Auffassung zugrunde. Bei dieser Verwendung geht die Bedeutung von Äon in die von Kosmos (= Welt) über. Damit habe GOTT nicht einen, sondern zwei Äone geschaffen. Der erste, „böse Äon”, erstreckt sich von der Schöpfung bis zum „Tage des Gerichts” (hebr. MISCHPAT ELOHIM); er ist also nach beiden Seiten begrenzt. Der kommende Äon beginnt am „Tag des Gerichts” und endet nicht mehr. Er wird deshalb auch der „große oder endlose Äon” genannt (Hen. 50,2; 61,2). Die rabbinische Literatur lässt diesen Äon zum Teil schon vor dem Weltende beginnen. In dieser Benennung liegt also eine doppelte Gegenüberstellung: einerseits zeitliche Aufeinanderfolge, andererseits Wesensunterschied (unvollkommen und sündig gegenüber vollkommen und heilig).
Im Neuen Bund wird unsere Jetztzeit mit diesem Äon bezeichnet (Matth. 12,32; Luk. 16,8; Röm. 12,2; 1. Kor. 1,20 u. a.). Diesem stellen die Verfasser den kommenden Äon gegenüber (Matth. 12,32; Mark. 10,30; Eph. 1,12). Dass es zwischen beiden einen Gegensatz gibt, zeigt schon Luk. 2,34f., wo das Leben der Kinder dieses Äons vom Leben derer unterschieden wird, die des anderen Äons für würdig erachtet werden. Diese Formulierung weist zugleich auf eine Erwählung hin; wenn man nur bestimmte Bedingungen erfüllt, soll man am Äon teilhaben. Ebenso wie hier ist auch in 1. Tim. 6,17 (die Reichen in diesem Äon) das Wort Äon moralisch neutral. Ein Gegensatz zu einer höheren Ordnung zeigt sich ebenfalls in 2. Tim. 4,10; dies gilt auch für Matth. 13,22; die Sorge in diesem Äon kann eine Gefahr für das übernatürliche Leben bedeuten. In Luk. 16,8 hat dieser Äon in dem Ausdruck Kinder dieses Äons auf Grund der Gegenüberstellung zu Kinder des Lichtes unverkennbar eine moralisch ungünstige Bedeutung: nicht allein physisch steht dieser Äon niedriger als der kommende, sondern auch sittlich. Diese Unterordnung scheint bei diesem Begriff dazugehört zu haben: In 1. Kor. 1,20; 2,6; 3,18 disqualifiziert er die Weisheit, die sich der Weisheit des Kreuzes widersetzt; und in Eph. 2,2 das Verhalten de Epheser vor ihrer Bekehrung. Darum kann Paulus auch von diesem bösen Äon sprechen (Gal. 1,4), über den Satan herrscht, der Gott dieses Äons (2. Kor. 4,4). Daher spornt Paulus den Titus an (2,12), fromm in diesem Äon zu leben, und darum ermahnt er auch die Römer (12,2) nichts mit diesem Äon gemein zu haben. Über das Ende dieses Äons sprechen Matth. 13,39f; 24,3; 28,20; vgl auch Hebr. 9,26. Auch nach neutestamentlicher Auffassung hat der zukünftige Äon schon im jetzigen Äon seinen Anfang genommen: Der HERR hat die Gläubigen aus diesem bösen Äon entrückt (Gal. 1,4) und sie die Kraft des kommenden Äons verkosten lassen (Hebr. 6,5). Sachlich deckt sich somit der kommende Äon mit dem Reich GOTTES, das weder teilbar noch zeitlich begrenzt ist. Daher sind jedwede Spekulationen über eine bestimmte Zeitdauer der Ewigkeit unbiblisch und unhaltbar.
Hinsichtlich der Auffassung, wonach 1. Kor. 15,26 lehrt, dass der Tod aufgehoben sein werde. Der zweite Tod gleicher Art sein müsse wie der erste und deshalb es auch eine Auferstehung aus dem zweiten Tode gebe, sei folgendes erklärt:
Mit den Ausdrücken erster und zweiter Tod soll im Gegenteil ein grundsätzlicher Wesensunterschied festgestellt werden. In 1. Kor. 15 ist nur vom leiblichen Tod und von der Auferstehung des Leibes die Rede; vom zweiten Tod dagegen lesen wir gar nichts. Dieser wird erst am Schluss der Bibel erwähnt und zwar gerade als letzte, abschließende Mitteilung über das Los der Verdammten: es betrifft das Endgericht vor dem großen weißen Thron, das den Feuersee zur Folge hat. Damit ist der Schlussstrich über ewige Seligkeit und ewige Verdammnis endgültig gezogen.
Wenn wir in der Endzeit prüfen und in der Erkenntnis wachsen sollen, dann dürfen wir nicht der Versuchung verfallen, uns hinsichtlich der Ewigkeit etwas vorzumachen, um nicht eigenem Wunschdenken auf den Leim zu gehen. Also auch in dieser so wichtigen Frage ist Nüchternheit vonnöten, sonst hätte Satan einen zusätzlichen Triumph, wenn Sünde nicht mehr ernst genommen würde, weil wir ohnehin versöhnt und gereinigt wären und zwar ohne unseren Willen und ohne unserer Beteiligung. Dies ist Irrlehre, und der Beweis liegt mit diesem Aufsatz vor!
(Quelle: „Bote neues Israel”, Nr. 147 (Juli – Sept. 2003), S.7f.)
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