Die frühen Christen kannten noch keine Verehrung des Kreuzes. Sie hielten sich an das Verbot der Bilderverehrung in den Zehn Geboten (vgl. 2. Mo 20,4-6). Die Herstellung und Aufstellung von Bildern galt bei ihnen deshalb als heidnisch. Auch kannten sie die ironischen Bemerkungen zur Verehrung oder Anbetung von Gegenständen, die Gott durch alttesta- mentliche Propheten gemacht hatte: Aus der einen Hälfte eines Baumes machen die Menschen Feuerholz, vor der anderen knien sie nieder und beten: „Errette mich!“ Sie verehren einen Holzklotz, statt zum lebendigen Gott zu beten! (Jes 44,6-20)
So betrachteten auch die frühen Christen das Kreuz als bloßen Gegenstand. Ihnen war nicht das Kreuz wichtig, sondern der gekreuzigte und auferstandene Herr, der nun im Himmel als unser Hoher Priester für uns eintritt (Hebr. 2,1-8; 4,14-16). Natürlich wurde das Kreuz für sie auch zum Symbol – nämlich für die Erlösung durch Christus (Gal 5,11), für das Evangelium (1 Kor 1,17) oder für Selbstverleugnung und Leid (Gal 5,24). Sie begnügten sich aber in der Kunst mit symbolischen Darstellungen und Allegorien. Erst der Einfluss der spätantiken Kultur, das Bedürfnis des einfachen Volkes nach einer Religion zum Anfassen, nach sichtbaren Vorbildern und der beginnende Heiligenkult führten im 3. und 4. Jahrhundert zur Abkehr von dieser Haltung. Zwar findet man in dieser Zeit schon vereinzelt christliche Kreuzdarstellungen, aber erst nachdem Kaiser Konstantin dieses Symbol als Feldzeichen benutzte, kam es zur weiten Verbreitung des „Monogramms Christi“. Bilder vom gekreuzigten Christus tauchen jedoch erst zweihundert Jahre später auf.
Die im 3. Jahrhundert beginnende Verehrung von Bildern und Kreuzen wurde anfangs heftig angefochten. Manche Priester, Bischöfe und Päpste befürworteten sie, andere wandten sich scharf dagegen oder ließen Bilderverehrer sogar verfolgen. Obwohl auf dem Konzil von Nicäa 787 n. Chr. und auf dem Konzil von Konstantinopel 842 n. Chr. die Bilderverehrung durch Kerzen, Weihrauch, Küssen und Niederfallen von der katholischen Kirche gebilligt wurde, blieb sie doch bis ins 11. Jahrhundert umstritten. Sie hat sich also im Laufe der Jahrhunderte in die Kirche nicht ohne Widerstand eingebürgert. Es ist deshalb verständlich, dass daraufhin im katholischen Katechismus das zweite der Zehn Gebote gestrichen und dafür das zehnte Gebot aufgeteilt wurde, um wieder die Zahl „10″ zu erhalten.
Heute findet man zahlreiche Kruzifixe in katholischen Kirchen – Kreuze verschiedener Größe, an denen Christusfiguren hängen. Und man kann beobachten, wie Gläubige sich vor ihnen verneigen und beten. Zwar heißt es offiziell, dass sie diese Gegenstände nicht anbeten, sondern nur verehren, aber die Praxis der Volksfrömmigkeit sieht oft anders aus. Außerdem bedeutet das griechische Wort für „anbeten“ im Neuen Testament wörtlich: „niederfallend verehren“. Das aber gebührt keinem Engel, Menschen oder Gegenstand, sondern allein Gott (vgl. Offb 22,8.9).
In den protestantischen Kirchen wird das Kreuz dagegen nicht verehrt, sondern wie bei den frühen Christen nur als Zeichen der Erlösung gesehen. Natürlich besteht hier auch die Gefahr, dass für den einzelnen Gläubigen das Kreuz doch zu einem heiligen Gegenstand oder sogar zu einem „magischen“ Symbol werden kann.
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