In dem Blatt „Zeit und Schrift“ (02/2013, S. 30 ff.) rezensierte Ulrich Müller zwei Bücher zum Thema „Gebet“. Es handelt sich dabei um die Bücher „Das Beten Jesu“ von dem Ex-Papst Josef Ratzinger („Benedikt XVI“) und „Das Gebetsleben Jesu“ von Wolfgang Bühne. Bühne ist im Brüdertum involviert und ist m. E. dem calvinistischen Flügel dieser Bewegung zuzuordnen. Der Artikel kann hier nachgelesen werden (Stand: 13.06.2015).
Der Gründer des Blattes „Zeit und Schrift“ (zs) war Ulrich Weck. Herausgegeben wird zs heute von Michael Schneider und Horst von der Heyden. Der Rezensent Ulrich Müller gehörte vor über 20 Jahren dem Brüdertum an. Nach mehrfachem Denominationswechsel (z. B. FeG) ist er heute Mitglied (und Ältester) in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gütersloh (Baptismus). Der Ältestenkreis dieser Kirche besteht aus sechs Personen (fünf Männer, eine Frau) und einer der Ältesten wird noch zusätzlich als „Pastor“ bezeichnet.
Was ist nun von Müllers Rezension zu halten? Müller verfällt gegenüber Ratzinger in eine „Lobhudelei“ (und einer Verharmlosung der unbiblischen katholischen Christologie [z. B. die Transsubstantiationslehre]), die vermuten lässt, dass er mit einer biblischen Geisterunterscheidung überfordert ist, während er Bühnes Buch heftig kritisiert.
Der ehemalige Katholik Hans Werner Deppe schrieb einen zu Müllers Rezension einen treffenden Kommentar. Ich zitiere aus seinem Artikel vom 12.06.2013:
Das Papstbuch: wie unbiblisch es wirklich ist
Ulrich Müller nennt beim Papstbuch zwar kurz als Schwäche, dass darin als un-evangelische Inhalte „zwei kurze Gedanken zum Rosenkranzgebet und zur katholischen Transsubstantiationslehre“ vorkommen, doch die zahnlose Kürze dieses Hinweises vermittelt den Eindruck, dass dies für ihn problemlos zu verschmerzen ist. Offenbar verkennt er dabei, dass das Rosenkranz„gebet“ eine an Maria gerichtete Verehrungs-Litanei ist, die zudem exakt den heidnischen Gebetsgewohnheiten entspricht, die der Herr Jesus in Mt 6,7 brandmarkt. Ganz zu schweigen davon, wie heidnisch es ist, eine übermenschliche Himmelskönigin und Muttergöttin durch Gebet anzurufen und zu preisen!Auch kommt die Transsubstantion (materielle Verwandlung von Brot und Wein) nicht so „kurz“ vor, wie Müllers Hinweis es vermuten lässt. Schließlich ist dem katholischen Verständnis des Abendmahls ein ganzes Kapitel gewidmet. Und dieses Verständnis ist dem Evangelium ebenfalls zutiefst zuwider, da dabei Brot und Wein in das buchstäbliche Fleisch und Blut Christi verwandelt werden, um es abermals zur Sündenvergebung zu opfern (d.h. wenn die Messe ausfällt oder man die Teilnahme versäumt, wäre die Sühne nicht geleistet).
Ratzinger schreibt in seinem Buch tatsächlich manches biblisch Richtige, wo der biblisch gläubige Christ zustimmen kann, aber vieles davon besteht aus fromm klingenden, aber letztlich wenig aussagekräftigen Geschreibsel und salbungsvollen, aber leeren Worten. Oft spricht Ratzinger vom Evangelium, aber als bibeltreue Christen dürfen wir uns davon nicht blenden lassen, sondern brauchen das nötige geistliche Unterscheidungs- und Differenzierungsvermögen, um zu verstehen, dass das „Evangelium“ Roms ein ganz anderes ist: die Errettung durch die römische Kirche bzw. durch werkgerechte Loyalität zu ihr. Dies wird unter anderem durch Ratzingers Aussage deutlich, die Erlösung sei „für alle verfügbar“ (S. 107). Verfügbar ist aber nur das, was in der Macht der Menschen steht, und genau das ist die Position der römischen Kirche zum Seelenheil: Sie hat (angeblich) die Macht darüber und kann deshalb darüber verfügen, und zwar für alle Menschen weltweit, da nur sie über die zum Heil nötigen Sakramente, die Priesterschaft usw. verfügt. Allein dieses Wort „verfügbar“ verdeutlicht, dass die Lehre der römischen Kirche weit entfernt ist vom Evangelium der Gnade Gottes und der Abhängigkeit allein von ihm.
Auch der Begriff „Evangelisation“ kommt häufig in Ratzingers Buch vor, aber er meint Evangelisation im Sinne der Enzyklika Ut unum sint, wie er es auf Seite 72 erwähnt, und damit meint er eine Evangelisation durch Zuführung (oder Rückführung der getrennten Christen) zur römischen Mutterkirche: das ist dann die erstrebte „volle Gemeinschaft“ (S. 72), die nicht nur innerlich besteht, sondern „sichtbar werden muss“ (S. 80).
Und genau das ist das Tückische an Ratzingers Buch „Das Beten Jesu“. Offenbar gibt sich der Ex-Papst hier bewusst evangelisch, indem er sich mit der Herausstellung römischer Sonderlehren zurückhält. Ich halte das Buch (wie auch die ganze „Jesus-Trilogie“ Ratzingers) für den Versuch einer Anwerbung und Vereinnahmung bibeltreuer Christen. Und wie viele Evangelikale sind tatsächlich darauf hereingefallen! So werden die Bücher von Ratzinger alias Benedikt XVI. im evangelikalen Buchhandel angeboten (SCM-Shop, Alpha Buch u.a.)
Meinetwegen könnte der Papst noch so lupenrein biblisch klingende Bücher schreiben, für mich bliebe er der Papst, der all die unfehlbaren, Bannsprüche gegen das biblische Evangelium nie aufgegeben hat und wohl nie aufgeben wird. Geschieht die Annäherung zwischen römisch und bibeltreu von beiden Seiten? In den USA gibt es eine Bewegung von „evangelikalen Katholiken“, aber wir müssen uns fragen, ob es mittlerweile nicht viel mehr „katholische Evangelikale“ gibt. Gibt sich der Papst in seinem Buch bzw. seinen Büchern evangelikal, oder sind die Evangelikalen schon so katho(ho)lisiert, dass sie es gar merken, worauf sie hereinfallen?
Exemplarisch dafür ist wohl Ratzingers Kapitel über die Fastenzeit („Aschermittwoch“) betitelt. Ein 40-tägiges Exerzizienprogramm ist heute ja keineswegs mehr eine speziell katholische Sache, sondern unter Evangelikalen absolut hip. Hier scheint Ratzinger die Evangelikalen dort abzuholen, wo sie schon an den Ködergeschmack gewöhnt sind: bei spirituellen Übungen aus der Mystik. Bedenken wir nur die Schwemme von „40-Tagen-ohne“-Büchern auf dem evangelikalen Buchmarkt oder die unzähligen 40-Tage-Programme, allen voran das ökumenische Türöffner-Buch „Leben mit Vision“ von Rick Warren.
Ebenso mystisch und von Ulrich Müller lobend erwähnt ist Ratzingers wichtiges Kapitel über „Beten und schweigen“. Müller zufolge geht es hier um „innere und äußere Stille als Voraussetzung dafür, dass wir Gottes Stimme hören“ – diese Vorstellung ist eine der am innigsten geliebten Anleihen der Evangelikalen aus der heidnishchen Mystik.
Passend zu dieser spirituell-betrachtenden Einkehr ist Ratzingers Buch mit vielen ganzseitigen, bunten Ikonen geschmückt. Bei solch einer Vier-Farben-Qualität sind Evangelikale dann auch gern bereit, knapp 20 Euro für ein 120-Seiten-Buch zu zahlen.
Randerscheinung oder repräsentativ?
Bezeichnenderweise bemängelt Ulrich Müller am Buch von Wolfgang Bühne, dass „ein doch arg pessimistischer Grundton mitschwingt. Der ständige Verweis auf unsere Defizite und Mängel … deprimiert.“ Warnungen und Ermahnungen stören offenbar das positive Gefühl. Da der Rezensent das Buch eine Papstes so hoch lobt und daher schon Alarmbereitschaft besteht, drängt sich der Gedanke an 2. Timotheus 4,3 auf: „Es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern nach ihren eigenen Begierden sich selbst Lehrer aufhäufen werden, weil es ihnen in den Ohren kitzelt.“ Gesunde Lehre und das nötige „Wort der Ermahnung“ (vgl. Hebr 13,22) wird nicht ertragen, stattdessen aber spirituelle Schmeicheleinheiten. Und: „Wenn der, welcher kommt, einen anderen Jesus predigt, den wir nicht gepredigt haben, oder ihr einen anderen Geist empfangt, den ihr nicht empfangen habt, oder ein anderes Evangelium, das ihr nicht angenommen habt, so ertragt ihr das recht gut.“ (2Kor 11,4)Man mag hoffen, dass diese Doppelrezension in „Zeit und Schrift“ nur eine Ausnahme und Randerscheinung und eigentlich keiner Erwähnung wert ist. Aber leider gehen meine Befürchtungen in eine andere Richtung. Zwar gibt es erfreulicherweise gerade in der Brüderbewegung noch viele bibeltreue Christen, auch Führungspersonen, die geistliches Unterscheidungsvermögen und den Mut zum Warnen haben – so eben auch Wolfgang Bühne und der Verlag CLV, oder auch die Brüder des Maleachi-Kreises. Aber die Brüderbewegung ist in sich sehr inhomogen, man kann keine Pauschalaussagen über sie treffen. Leider ist ein nicht unerheblicher Teil der Brüderbewegung recht offen für alles geworden, oft angefangen mit einem humanistisch-arminianischen Verständnis des Evangeliums, das dadurch aufgeweicht wurde. Die hier kritisierte Doppelrezension ist wohl keine Ausnahme, sondern repräsentiert einen sehr bedenklichen Trend. Es bleibt zu hoffen und zu beten, dass manche diesen als Warnung und Korrektur gedachten Artikel bedenken, beherzigen und zur Prüfung ihres Weges heranziehen. (Quelle)
Erfreulich ist die Tatsache, dass es außer Hans Werner Deppe weitere Geschwister gibt, die in der Lage sind, Müllers unbiblische „Lobhudelei“ geistlich zu beurteilen. Ich veröffentliche nachstehend einen Leserbrief von Frank Cisonna, der in der zs 03/2013, S. 34f. publiziert wurde:
„Mit Erstaunen findet man eine derartige Buchrezension in der Publikation einer Gruppe von Brüdern: ein Buch des ehemaligen Anführers der Römischen Kirche, Josef Ratzinger.
Abgesehen von dem im Vergleich ebenfalls rezensierten Buch von Wolfgang Bühne, das im Vergleich nur schlecht wegkommt, wird das „Papst“-Buch hoch gelobt und heiß empfohlen. Ersteres fällt durch viele negative Beschreibungen auf, wie: „methodische Unklarheiten, wenig belastbar und aussagekräftig, arg pessimistischer Grundton, deprimiert“ etc. Das Buch von Herrn Ratzinger hingegen glänzt mit „bettet klug ein, ungemein dicht, optimistischer Grundton, beeindruckend, strikte Bibelorientierung, konzentriertes Hören auf die Heilige Schrift“, und schließt mit der Aussage, man werde „einen tieferen Einblick in die Bibel gewinnen“, daraus lassen „sich vielseitige Ermutigung und Hilfestellung für persönliche Gebetsgewohnheiten ziehen.“
Selbst wenn Herr Ratzinger (nach Meinung der Herausgeber nur ein Gefangener des Kirchensystems) ein wiedergeborener Christ, ein Bruder im Herrn sein sollte (was nicht anzunehmen ist; denn wie sollte das außerhalb der biblischen Grenzen, ohne den Grundeinstieg nach Joh.1,12-13, gehen?), so sind doch all die Irrlehren der Römischen Kirche, die auch er predigt und vertritt, Grund genug, ihn, und damit auch seine Schriften, zu meiden. Denn das bekannte römische Ja-Nein-Prinzip ist vom Teufel (vgl. 2.Kor.1,17b-19, Mt.5,37). Immer mehr aber ist auch in bislang bibeltreuen Kreisen der Trend, ja, geradezu eine Sucht zu erkennen, sich von der Wahrheit der Schrift ab- und anderen Dingen zuzuwenden (und wenn sie noch so fromm und teilweise biblisch daherkommen). Hier aber gilt das oft zitierte Prinzip „das Gute behaltet“ gerade nicht, sondern nach erfolgter Geistesprüfung (1.Tim.4,1) ist damit auch biblisch umzugehen, vom Verrat an der Reformation einmal ganz abgesehen. Dieser Abfall aber greift mit erstaunlicher Gewalt wie eine Welle um sich und durchsäuert alles und jeden, der sich den Verführern nähert. Warum sonst wollen viele nicht (mehr) auf diejenigen hören, die aus derartiger falschgeistiger Verführung herausgekommen sind, wie z.B. der ehemalige katholische Priester Johannes Ramel, und nun warnend sagen: „Der Heilige Geist arbeitet nicht mit der Lüge zusammen. Ein solches Buch bringt Verwirrung hinein, und es zu empfehlen, ist seelsorgerlich nicht weise und entspricht nicht der Hirtenverantwortung. Die Grenzüberschreitung wird übersehen, denn wie Kol.2,8;18-23 eindeutig bezeugt, leben wir nicht aus menschlicher Weisheit oder Schlussfolgerung, sondern aus der Offenbarung Gottes.“ […]“
Auch der Rezensent Müller meldete sich am 03.07.2013 („Joseph und ich„) auf seinem Blog zu Wort.
Ich finde es schade, dass Müller sich in seiner Antwort lediglich auf unsubstantiierte, dafür aber diffamierende Behauptungen (z. B. „Katholikenphobie“, „freikirchliche Kampfchristen“) beschränkt. Auch sein persönliches Fazit spricht für sich:
„Ja – manche katholischen Autoren, besonders Ratzinger, lese ich sehr gerne und mit Gewinn. Ja, ich sehe Ratzinger als gläubigen Christen an, als Glaubensbruder.“
Dieses Zitat zeigt m. E., wie weit Müllers ökumenische Verblendung bereits fortgeschritten ist. Die röm.-kath. Kirche verkündet einen „Oblaten-Gott“ und durch ihren Sakramentalismus verführt diese „Kirche“ Millionen von Menschen, denn der Katholizismus verkündet, dass durch die Mitgliedschaft in der Katholischen Kirche und der Empfang der Sakramente die Kirchenmitglieder ewige Errettung (wenn sie das Fegefeuer überstanden haben) erlangen könnten. Und Müller liest die Bücher des ehemaligen Sekten-Führers mit Gewinn.
Wie kann es aber dazu kommen, dass in einem Blatt des Brüdertums der Ex-Papst (und damit der gesamte Katholizismus) so positiv dargestellt wird? Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass der Gründer des Brüdertums, John Nelson Darby, von der Theologie der röm.-kath. Kirche angezogen wurde. Nach seiner Bekehrung war er sehr stark unter dem Einfluss der röm.-kath. Kirche geraten. Später jedoch, als er Hebräer 9 und 10 las, konnte er dem Katholizismus nicht weiter folgen.
Darby war Anhänger der apostolische Sukzession (die angebliche ununterbrochene Nachfolge von Bischöfen von der Zeit der Zwölf Apostel bis heutigen Tag) und war der Meinung, dass es Segen ausschließlich in der röm.-kath. Kirche geben konnte. Männer wie Luther und Calvin sah er außerhalb des Katholizismus positioniert, wollte sie jedoch nicht „richten“ und überließ diese der „Gnade Gottes“. Zwar distanzierte sich Darby später von bestimmten katholischen Irrlehren, aber der katholische Einfluss auf das Brüdertum war und ist unverkennbar.
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