Vor einiger Zeit hatte ich in einem Beitrag über die ökumenische Bewegung darüber sinniert, dass die Ökumeniker und die evangelikalen Allianzen einander eigentlich recht nahe stehen in ihrer Ablehnung der Evangelisation von Namenschristen. (Die Ökumeniker nennen es “Proselytismus”, die Evangelikalen schimpfen es “Schafe stehlen”.) Schon seit einiger Zeit mutmasste ich, dass der Weg der Evangelikalen wahrscheinlich ebenso wie der der Landeskirchen in die ökumenische Bewegung ausmünden wird. Und siehe da, es ist bereits geschehen!
Am 28.Juni 2011 hat die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) zusammen mit der römisch-katholischen Kirche und dem ökumenischen Weltkirchenrat ein Dokument unterzeichnet, das während eines Zeitraums von fünf Jahren erarbeitet wurde und den Titel trägt: “Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt – Empfehlungen für einen Verhaltenskodex.” Die WEA ist der weltweite Dachverband der Evangelikalen.
Der erste Teil des Dokuments, “Grundlagen für das christliche Zeugnis”, enthält viele richtige und biblisch begründete Erklärungen, so wie diese:
„Das Vorbild und die Lehre Jesu Christi und der frühen Kirche müssen das Leitbild für christliche Mission sein. – Christen/innen bekräftigen, dass es zwar ihre Verantwortung ist, von Christus Zeugnis abzulegen, dass die Bekehrung dabei jedoch letztendlich das Werk des Heiligen Geistes ist (vgl. Johannes 16,7-9; Apostelgeschichte 10,44-47).“
Aber es fällt auf, dass das Dokument keinerlei Definitionen von Schlüsselwörtern wie “Evangelium”, “Zeugnis”, “Mission” oder “Bekehrung” enthält. Wer mit der Literatur des Weltkirchenrats vertraut ist, der weiss, dass diese Organisation den erwähnten Begriffen eine ganz andere Bedeutung gibt, als sie in der Bibel haben. Z.B. sagt eine Theologin des Weltkirchenrats über “Bekehrung”:
„Die metanoia – die Bekehrung – zwingt uns, die Zwiespältigkeit der menschlichen Existenz zu akzeptieren: diese Zwiespältigkeit, die macht, dass wir Heilige und Sünder zugleich sind. * (…) Wir sollten unsere Hände schmutzig machen, indem wir sie ausstrecken, um die Hand des Anderen zu ergreifen; die Hand, die die Grundlagen unserer Wahrheiten und unserer Gewissheiten erschüttert. Nur so können wir erkennen, dass der Andere der Heilige mit dem Angesicht Gottes ist.
Lasst uns deshalb zu Gott zurückkehren, zum Göttlichen, das in uns ist, in den anderen, und in der Natur.“ (Wanda Deifelt, Vortrag in der Weltversammlung des Weltkirchenrats in Harare, 1998)
Der Ausdruck
„Heilige und Sünder zugleich“
geht zwar auf Luther zurück, ist aber nicht biblisch. Und auch Luther wandte diese Bezeichnung nur auf Christen an. Er hätte mit Sicherheit nicht in solch allversöhnerischer Weise generell die ganze Menschheit “Heilige” genannt, wie das die ökumenische Theologin hier tut.
Für den Weltkirchenrat hat also “Bekehrung” nichts zu tun mit Umkehr von der Sünde und Rückkehr zum wahren Gott. Im Gegenteil, sie möchten zurückkehren “zum Göttlichen, das in uns ist, in den anderen, und in der Natur” – eine mehr pantheistische und heidnische als christliche Vorstellung.
Wenn die Leiter der WEA dieses Dokument unterzeichnet haben, ohne auf einer biblischen Definition von “Bekehrung”, “Evangelium”, usw. zu bestehen, dann bedeutet das, dass sie stillschweigend die Definitionen des Weltkirchenrats gutheissen.
Ausserdem fehlen in diesen “Grundlagen für das christliche Zeugnis” des Weltkirchenrats einige wesentliche Elemente: die Tatsache, dass der Gott der Bibel tatsächlich der wahre Gott ist; dass das christliche Zeugnis und die Evangelisation dem Zweck dienen (sollten), Menschen zur Umkehr von der Sünde und zur Rückkehr zum wahren Gott zu rufen; dass dieses Zeugnis nicht nur die Liebe Gottes zum Thema hat, sondern ebenso auch seine Gerechtigkeit und sein Gericht; usw. Da diese so wichtigen und ernsten Punkte weggelassen wurden, wird das Christentum als eine religiöse Option unter vielen dargestellt. Die Tatsache wird verharmlost, dass das ewige Heil oder Verderben jedes Menschen davon abhängt, wie er zu Jesus Christus steht.
Da der Titel des Dokuments von einer “multireligiösen Welt” spricht, ist die Absicht dieser Auslassungen klar: Das Christentum soll aus dieser pluralistischen und relativistischen Sicht dargestellt werden; und sein Anspruch, der einzige Weg zur Errettung zu sein, soll verneint werden.
Der zweite Teil des Dokuments heisst “Prinzipien”. Auch hier finden wir manche Punkte, mit denen wohl jeder bibeltreue Christ einverstanden sein wird: “Handeln in Gottes Liebe” – “Jesus Christus nachahmen” – “Religions- und Glaubensfreiheit” und Ablehnung von Verfolgung aus religiösen Gründen – “Respekt für alle Menschen”, usw.
Einige andere Punkte jedoch lassen eine breite Auslegungsspanne zu. Wie z.B. in dieser Stelle:
„Die Ausnutzung von Armut und Not hat im christlichen Dienst keinen Platz. Christen/innen sollten es in ihrem Dienst ablehnen und darauf verzichten, Menschen durch materielle Anreize und Belohnungen gewinnen zu wollen. (…) Dabei müssen sie sicherstellen, dass die Verwundbarkeit der Menschen und ihr Bedürfnis nach Heilung nicht ausgenutzt werden.“
Von wann ab wird der Weltkirchenrat sagen, wir “nützten die Armut und Not anderer Menschen aus”? Natürlich gibt es Beispiele, wo christliche Gruppen mit mangelnder Integrität gehandelt haben und “Reischristen” produziert haben (Namenschristen, die sich “bekehrt” haben wegen der Aussicht, eine Handvoll Reis zu erhalten). Solche zu konfrontieren und zu ermahnen ist richtig. (Das englische Original sagt statt “ablehnen”:“denounce” = denunzieren, anprangern.) Aber wird es andererseits der Weltkirchenrat nicht auch als “Verführung” und “Ausbeutung” auslegen (wie es Massenmedien schon getan haben), wenn z.B. einige Christen eine medizinische Hilfskampagne organisieren und dabei den Patienten im Warteraum das Evangelium verkünden?
Und als letztes der zwölf “Prinzipien” führt der Weltkirchenrat sein Lieblingsthema an:
„Aufbau interreligiöser Beziehungen”: “Christen/innen sollten weiterhin von Respekt und Vertrauen geprägte Beziehungen mit Angehörigen anderer Religionen aufbauen, um gegenseitiges Verständnis, Versöhnung und Zusammenarbeit für das Allgemeinwohl zu fördern.“
Niemand wird etwas dagegen haben, “Beziehungen des Respekts und des Vertrauens” aufzubauen. Aber was versteht der Weltkirchenrat unter “Versöhnung” (mit Gläubigen anderer Religionen)? Sehen wir nur, wie es der Weltkirchenrat selber in seinen Weltversammlungen macht: Er lädt regelmässig Vertreter anderer Religionen ein, damit die Versammlungsteilnehmer (die sich Christen nennen) an deren Riten teilnehmen. Andererseits hat der Weltkirchenrat meines Wissens noch nie einen Vertreter einer anderen Religion aufgerufen, sich von seiner falschen Religion abzuwenden und sich Christus zuzuwenden. “Versöhnung” mit anderen Religionen bedeutet gemäss dem Weltkirchenrat, dass Christen sich für ihre Verkündigung, Christus sei der einzige Weg, entschuldigen müssten; und dass wir uns stattdessen für die Wege anderer Religionen öffnen sollten.
Das haben die Leiter der Weltweiten Evangelischen Allianz unterschrieben ???
Der dritte Teil des Dokuments enthält sechs “Empfehlungen”. Hier wird der Aufruf wiederholt,
„von Respekt und Vertrauen geprägte Beziehungen mit Gläubigen aller Religionen aufzubauen,“
und es wird präzisiert:
„… insbesondere auf institutioneller Ebene zwischen Kirchen und anderen religiösen Gemeinschaften, und sich als Teil ihres christlichen Engagements in anhaltenden interreligiösen Dialog einbringen.“
(Anm: Das englische Original spricht statt von “Engagement” noch stärker von “commitment”, “Verpflichtung”.)
Die evangelikalen Kirchen und Denominationen sollen also “auf institutioneller Ebene” Beziehungen aufbauen zur Moslembruderschaft, zu buddhistischen Klöstern und zur römisch-katholischen Hierarchie – wozu? Etwa um gemeinsam die Welt zu “evangelisieren” im Namen Allahs, Buddhas und Marias? – In früheren Dokumenten hat der Weltkirchenrat klar gesagt, was er unter “interreligiösem Dialog” versteht. Zum Beispiel:
„Einige Christen können Rituale, Lesungen und hymnische Traditionen einer anderen Religion in ihre eigene Liturgie und Anbetung einbetten, indem sie z.B. Lesungen aus hinduistischen und anderen Schriften aufnehmen“ (Aus: “Was für einen Unterschied macht die religiöse Vielfalt?”, Ökumenisches Institut des Weltkirchenrats in Bossey, 1999)
Solche Forderungen kann man beim besten Willen nicht mehr mit dem “Beispiel und der Lehre Jesu Christi und der Urkirche” vereinbaren!
Im Gegensatz zu einigen anderen Dokumenten des Weltkirchenrats enthält “Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt” (noch) keine ausdrücklichen Einschränkungen der Evangelisation. Aber das Dokument bildet einen gefährlichen Präzedenzfall, damit sich in Zukunft die evangelistischen und missionarischen Tätigkeiten der Evangelikalen dem Konsens der ökumenischen Bewegung und des Vatikans unterordnen sollen. Und die Weltliche – pardon, Weltweite Evangelische Allianz hat mit ihrer Unterschrift klar signalisiert, wohin ihr Weg von jetzt an führt: in die Ökumene.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen für jene evangelikalen Kirchen, die immer noch eine klare Distanz zur ökumenischen Bewegung wahren wollen, ihrerseits ein ebenso klares Zeichen zu setzen und aus ihren jeweiligen “Evangelischen Allianzen” und “Kirchenräten” auszutreten.
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